Einzelausstellung von Delia Popa beim Haus zum Palmbaum, Zürich, 2015. Foto: Delia mit Heidi, Peter und Grossvater, Sihlcity Mall, Zürich, Dez. 2015.
“"Ich bin nicht das Heidi. Adelheid heisse ich. Ich lebe im Tal und ich lese die Zeitung. Ich kann lesen und wählen. [..] Ich bin nicht blond, nicht Unschuld vom Lande, nicht heilige Einfalt [..] "
Ulrike Ulrich, ”Nicht das Heidi”, 2015
Eine neue Verfilmung von “Heidi” war gerade in der Schweiz erstaufgeführt worden, eine 3D Animationsserie nach dem berühmten japanischen Trickfilm von 1974 wurde ebenfalls in diesen Jahr lanciert. Abgesehen von der touristischen und ökonomischen Benutzung von Heidi (Heidiland, TShirts, Schoggi – die übrigens von einer österreichischen Firma in Rumäniein hergestellt wird), ist deutlich zu bemerken, wie ein nationales Symbol globale Proportionen gewonnen hat.
Was macht die Geschichte von Heidi so anziehend, dass sich jede Generation damit beschäftigt? Wieso ist es zu einem Mythos geworden? Und wie funktioniert die Verbreitung eines Mythos? Welche soziologische und psychologische Aspekte werden in diesem Prozess berührt? Das sind Fragen, die sich die rumänische Künstlerin Delia Popa – Artist in Residence bei index Freiraum in Zürich – in ihrer Recherche gestellt hat.
Die Ausstellung ”Growing Up and Staying Young – Tales of Heidi” belebte das Haus zum Palmbaum der Predigerkirche in Zürich mit einer Installation, mit Sequenzen von verschiedenen Heidi Verfilmungen sowie mit drei Serien von Linoldrucken. Das Thema Kindheit und die nostalgische Auffassung davon (z.B. Kinder als unschuldige Wesen, die die Welt retten sollen), wurde in dem neuen Video von Delia, “M. des Ewigen Rückkehrs” (2015), durch die filmische Wiederholung der Heidi Geschichte in einem “Praesens Continuum” verarbeitet. Ein noch nicht veröffentlichter Text der zu index gehörenden Schriftstellerin Ulrike Ulrich, “ Nicht das Heidi, ” der im Frühling 2016 in “Viceversa 10” zum ersten Mal erschienen war, ergänzte die Ausstellung.
Nicht das Heidi (Text von Ulricke Ulrich, Fragment)
"Ich bin nicht das Heidi. Adelheid heisse ich. Wie meine Mutter. Bin weder Meitli noch Mami noch Grosi. Neutralisieren könnt ihr euch selbst. Auch kein Fräulein. Kein Mädchen. Adelheid heiss ich, und wenn ihr mich nochmals verwendet, im Abstimmungskampf, Zweitwohnung oder zweite Röhre, wenn ihr noch einmal fragt, was das Heidi wohl sagen würde, ein Plakat noch, ein Flyer: Dann seid ihr mich los. Nichts sagt das Heidi.
Jetzt spricht die Adelheid. Und mir langets. Benutzt mich noch einmal. Ein Theaterstück noch zum Wahlauftakt. Einmal noch: Fremdbestimmung in Frankfurt, Freiheit daheim auf der Alp. Dann nehm ich den Hut. Oh, ich kenne mich aus. Mit der Fremdbestimmung. Sie hören das Heidilied von den Rebels. In der Fremdbestimmung bin ich daheim. Eure Version von Freiheit bereitet mir Alpträume.
Schluss mit der Kinderarbeit. Kein Joghurt mehr und kein Müesli. Wegen euch reagier ich intolerant auf Laktoseiv. Nichts gegen Geissen, ich mag diese Tiere. Aber ich will auch mal ohne sie raus. Früher war das Meckern nur ihr Ressort. Und ich hab gelächelt. Aber damit ist Schluss. Ich bin nicht das Heidi. Adelheid ist mein Name. Die von der edlen Gestalt. Mit Heidentum hat das gar nichts zu tun. Aber fromm bin ich auch nicht mehr. Tut mir leid. Ich bete nicht mehr wie früher. Der liebe Gott wird’s schon richten. Die Johanna, so heisst meine andere Mutter, die hat das geglaubt. Hat wohl darauf vertraut. Warten und beten. Warten und beten. Seither ist vieles passiert. Vieles bachab. Wenn sie wüsste, Johanna, sie würde rotieren in ihrem Grab auf dem Sihlfeld. Doch, ich kenn noch immer die Namen der Blumen. Weissröschen und Tausendgüldenkraut. Aber ich kenn jetzt auch Beznau und Mühleberg.
Ich lebe im Tal und ich lese die Zeitung. Ich kann lesen und wählen. Ja, ich wohne tatsächlich in Zürich. Die Johanna gehe ich manchmal besuchen. Es bringen noch andere Blumen aufs Grab. In der Hardau wohn ich, im 22. Stock. Ich liebe den Ausblick über die Stadt, über die Gleise, bis zu den Bergen. Ich liebe die Berge. Noch immer. Natürlich. Die können ja nichts dafür. Es geht ihnen auch nicht viel besser als mir. Ich fahr immer noch gern nach Graubünden. Geh regelmässig dort wandern. Bloss nicht barfuss. Und auch nicht im Heidiland, sicher nicht. Wart ihr mal dort? Schon an der Raststätte schrillt zu jeder vollen Stunde das Lied: Komm nach Haus. Find dein Glück. Und habt ihr gesehn, was im Heididorf los ist? Heidiwurst. Heidiwein. Heidikaffee. Heidi Schoggi.v Heidi ist überall. Mit Ziege, mit Peter, mit hüpfenden Zöpfen. In blond! Wäre euch offenbar lieber gewesen. Oder sind daran die Amerikaner schuld? Heidi of the Alps. Die goldlockige Shirley Temple. Die blondgeflochtene Jennifer Edwards. Ich bin nicht blond und ich bin nicht das Heidi, nicht Unschuld vom Lande, nicht heilige Einfalt. Ich bin nicht der Engel im Haus. [..]"